
Kastration und Sterilisation
Bei der Kastration bzw. Sterilisation handelt es sich um verschiedene chirurgische Eingriffe. Eine Kastration ist die Entfernung der Geschlechtsdrüsen, also der Eierstöcke beim weiblichen und der Hoden beim männlichen Tier. Dadurch wird außer den sexuellen Aktivitäten auch das hierdurch bedingte Verhalten beendet. Die Hündin wird nicht mehr läufig, der Rüde kann keine Spermien mehr produzieren und zeigt meist kein Aufspringen mehr. Bei der Sterilisation erfolgt eine Unterbrechung der Samenleiter beim männlichen Tier bzw. eine Unterbindung der Eileiter beim weiblichen Tier. Die Tiere werden unfruchtbar, also können keine Nachkommen entwickeln, der Geschlechtszyklus und die damit verbundenen Aktivitäten bleiben jedoch erhalten, denn sie werden durch Hormone aus den Geschlechtsdrüsen gesteuert.
Die Vorteile einer Kastration sind offensichtlich: Ein Rüde lässt sich von läufigen Hündinnen nicht mehr aus der Ruhe bringen, und bei der Hündin bleiben die Läufigkeiten mit all ihren Begleiterscheinungen aus.
Immer mehr nun liegt der Trend bei Hundehaltern ihren Hund kastrieren zulassen. Viele Hundebesitzer sind der festen Überzeugung, durch diesen Eingriff eine positive Veränderung des Verhaltens zu bewirken. Sehr weit verbreitet ist immer noch der Glaube, dass man durch eine Kastration bei Rüden Aggressionsverhalten beseitigen kann. Dies ist allerdings nur in ganz seltenen Fällen gegeben und bedarf einer genauen und differenzierten Analyse des gezeigten Verhaltens, da es „das Aggressionsverhalten“ per se nicht gibt. Aggression ist vielmehr ein Mehrzweckverhalten, das immer mit der Beseitigung störender oder als gefährlich eingestufter Umwelteinflüsse im Zusammenhang steht (siehe auch Aggressionsverhalten).
Die oft angegebenen Gründe für die Kastration der Hündin sind die Prophylaxe von Gebärmutterentzündungen, Gesäugetumoren und hygienische Aspekte. Aber warum schafft man sich dann eine Hündin an?! Das Problem der Blutung kann im Haus durch das Tragen eines Höschens eliminiert werden und ist kein triftiger Grund für eine Kastration. Auch das Argument der Vermehrung kann man so nicht akzeptieren. Bei der Hündin sind es nur wenige Tage, an der sie empfängnisbereit ist, so dass sie bei regelmäßiger Läufigkeit nur vom 10. bis 16. Tag besonders im Auge behalten werden muss.
Bequemlichkeit ist kein Argument für eine Kastration, weder beim Rüden noch bei der Hündin.
Aber in welchem Fall kann die Kastration nun wirklich eine Lösung darstellen und in welchen Fall eben nicht? Und was bewirkt die Kastration denn tatsächlich im Verhaltensbereich?
Eine Kastration ist z.B. sinnlos bei Angstaggression, Jagdverhalten, Jungtierverteidigung oder auch Ressourcenverteidigung. Da diese Verhaltensweisen nichts mit dem Sexualhormon zutun haben, werden sich diese auch nicht nach einer Kastration in Luft auflösen. Die Kastration ist kein Mittel, um Verhaltensstörungen zu beheben oder Erziehungsfehler auszugleichen. Einzig sinnvolle Maßnahme ist hier ein individuelles Verhaltenstraining, einhergehend mit einer Verbesserung der Führungskompetenz des Halters. Besonders diesen Hunden muss Sicherheit gegeben und nicht Testosteron genommen werden.
Für Verhaltensforscher kommt eine Kastration nur für dominantaggressive Hunde oder hypersexuelle Rüden, die bei jeder Läufigkeit einer Hündin leiden, infrage.
Grundsätzlich beseitigt bzw. reduziert die Kastration alle Probleme, die aus direkt testosteronabhängigen Verhaltensweisen entstehen. Dazu gehören beim geschlechtsreifen Rüden das Urinmarkieren im Haus, das Streunen auf der Suche nach läufigen Hündinnen, Unruhe, ständiges Jaulen, Futterverweigerung und vermehrte Reizbarkeit, die sich bei Rüden mit starkem Sexualtrieb entwickeln, wenn eine Hündin in der weiteren Nachbarschaft läufig ist.
Aus gesundheitlichen Gründen kann eine Kastration nur in Frage kommen bei Tumorerkrankungen, eitrige Vorhautentzündungen die häufig wiederkehren, bei wiederholten Problemen mit der Prostata, hormonellbedingten Erkrankungen, Gebärmutterentzündungen, Eierstockzysten oder wiederkehrenden Scheinschwangerschaften.
Wird die Kastration des Rüden zur Veränderung sexuell-motivierter Verhaltensweisen in Betracht gezogen, kann vorab eine sogenannte "hormonale Kastration" durchgeführt werden. Diese Behandlung kann Hinweise dafür liefern, ob ein nachfolgender chirurgischer Eingriff das Verhalten des Hundes auch tatsächlich günstig beeinflussen kann. Einmalig werden dem Rüden dabei Hormone injiziert, die dem Testosteron der Hoden entgegenwirken und so dessen Einfluss im Stoffwechselgeschehen hemmen. Die Wirkung ist nur von kurzer Dauer und verschwindet meist nach zwei bis vier Monaten wieder vollständig. Treten während dieser Zeit die erwarteten positiven Verhaltensänderungen ein, verspricht auch die eigentliche Kastration gute Erfolge.
Kategorisch abzulehnen ist in jedem Fall die Praxis der Frühkastration. Von einer Frühkastration spricht man, wenn bereits vor Abklingen der Pubertät kastriert wird. Dieser Trend schwappt leider, vor allem bei der Hündin, aber zunehmend auch beim Rüden, aus den USA, wo diese Praxis an der Tagesordnung ist, zu uns herüber. Hierbei entstehen nur negative Folgen für die Hunde: die betroffenen Tiere werden aggressiver gegenüber gleichgeschlechtlichen Artgenossen und insgesamt unsicherer, nicht nur gegenüber anderen Hunden. Sie bleiben in der körperlichen Entwicklung zurück und werden nie richtig erwachsen, da ihre geistige Leistungsfähigkeit nicht voll ausgereift ist. Das liegt daran, dass sich das Gehirn unter dem Einfluss der Sexualhormone in der Pubertät nochmals weiterentwickelt. So machen gerade Hündinnen nach der 1. Läufigkeit einen starken geistigen Entwicklungsschub. Wird ein Rüde kastriert, hat das nur Einfluss auf die Produktion der männlichen Hormone. Da in der Nebenniere jedoch auch Hormone produziert werden, ist die natürliche Balance zwischen weiblichen und männlichen Hormonen gestört, die weiblichen bekommen die Übermacht. Der Rüde riecht nach einer Kastration also verführerisch weiblich und wird damit äußerst attraktiv für viele andere Rüden. Das "Nasentier" Hund, das sich sein Gegenüber ja quasi erschnüffelt wird in die Irre geführt. So passiert es häufig dass intakte Rüden vermehrt die kastrierten Rüden besteigen wollen was durchaus zu problematischen Zwischenfällen, bis hin zu ernsthaften Auseinandersetzungen und Beissereien führen kann.
Auch sollte man die Entscheidung der Kastration vom Hundetyp abhängig machen. So brauchen die großwüchsigen Hunderassen viel länger für Ihre geistige und körperliche Entwicklung als Zwerg- oder Kleinhundrassen. Gerade Hündinnen großer Rassen haben ein höheres Risiko eine Harninkontinenz zu entwickeln als Hunde unter 20kg. Auch gibt es Hündinnen bestimmter Rassen, die häufiger nach der Kastration inkontinent werden. Eine weitere Nebenwirkung kann ein vergrößerter Appetit, aufgrund des Wegfallens von Geschlechtshormonen, sein. Medizinisch kein Problem, aber ein Schönheitsfehler ist die mögliche Entwicklung eines Welpenfells bei langhaarigen Rassen. Hierbei überwuchert die Unterwolle das glänzende Deckhaar – das Fell wirkt struppig und stumpf. Ein Welpenfell kann bei der Hündin und beim Rüden auftreten.
Alles in allem also ein wichtiges Thema, mit dem sich jeder Hundebesitzer intensiv beschäftigen sollte, da es keine generelle Lösung und Antwort gibt, sondern das individuell entschieden werden sollte.
Hundehalter sollten sich darüber bewusst sein, dass sie einen extremen Eingriff in den Körper und das Leben ihres Hundes durchführen lassen, welcher nicht rückgängig zu machen ist. Denn alle OP´s beinhalten auch das Risiko von Komplikationen, wie z. B. Antibiotika Nebenwirkungen, Blutungen, Entzündungen, Infektionen usw. Dabei beziehen sich diese Komplikationen nur auf sollche, die man direkt mit der OP in Verbindung bringen kann.
Die Langzeit Gesundheitsrisiken und die Vorteile der Kastration/Sterilisation sind von einem Hund zum anderen unterschiedlich zu bewerten. Sowohl die Rasse, das Alter und das Geschlecht müssen zusammen mit nicht medizinischen Faktoren für jeden einzelnen Hund in die Waagschale geworfen werden bevor sich für oder gegen eine Kastration/Sterilisation entschieden wird.